Erkenntnisse von der Realisierung der GATE IT-Anwendungen

Guntram Geser, Salzburg Research

Dieser Artikel fasst wesentliche Erkenntnisse der GATE Pilotstätten bei der Realisierung der neuen IT-Anwendungen zusammen. Die Pilotstätten haben IT-Anwendungen für verschiedene Naturtourismus-Angebote entwickelt, für das Gebiet der Bletterbachschlucht (Teil des Welterbes Dolomiten), den Naturpark Parco Rossi, den Sentiero della Sensibilità von CAI Alpago, und das Angebot an Wanderwegen für Familien mit kleinen Kindern im Salzburger Pongau.
lessons-learned_visualDie gewonnenen Erkenntnisse betreffen folgende Themen: Zusammenarbeit in multidisziplinären Teams, Narrative und Inhalte, Flexibilität von IT Anwendungen, Mitwirkung von Nutzern in der Entwicklung, und natürlich die Folgen der COVID-19 Krise.

Zusammenarbeit
Projekte mit dem Ziel, Naturerlebnisse allen Besuchern zugänglich zu machen, erfordern Zusammenarbeit in einem Team mit multidisziplinärer Expertise.
Independent L., Koordinator der Entwicklung der Bletterbachschlucht Virtuelle Realität Anwendung stellt fest, “Der Austausch von Erfahrungen und die Integration von fachspezifischen Fähigkeiten in unterschiedlichen Bereichen ist entscheidend für den Erfolg des Produkts bzw. die Erfahrungen der Nutzer damit.“
Das Projektteam von Parco Rossi betont, “Bei der Entwicklung eines komplexen Innovationsprojekts ist die erfolgreiche Strategie ein multidisziplinäres Team, in dem Wissensaustausch, Zusammenarbeit und Problemlösung stattfindet. Ein Projekt zur Zugänglichkeit für Alle erfordert zu wissen, wie man inklusiv ist.“
Bei der Entwicklung von Sentiero della Sensibilità hatte CAI Alpago auch intensiv mit öffentlichen und privaten Organisationen zusammen zu arbeiten. Die 24 Kilometer lange Route führt durch Gebiete von drei Gemeinden und sechs Regole, die Gemeinbesitz von lokalen Familien sind. Dafür war Absprache und Zusammenarbeit mit und unter den beteiligten Organisationen erforderlich. Die Unterstützung dafür, den Wanderweg barrierefrei zu machen und iBeacons zu installieren, konnte durch ein gemeinsames Verständnis des Vorhabens erzielt werden.
Im GATE Projekt ermöglichte es die Diskussion der Pilotideen, deren Entwicklung und von speziellen Fragen mit anderen Partnern der grenzüberschreitenden Kooperation oft Lösungen entsprechend Best Practice Empfehlungen umzusetzen.

Erforderliche Expertise
Die Entwicklung einer erfolgreichen IT-Anwendung erfordert Expertise in Projektmanagement, nutzer-zentriertem Design, Kreation und Integration von Inhalten, technischer Entwicklung, und Zugang und Benutzerfreundlichkeit für Alle.
Exzellentes Projektmanagement ermöglicht allen Teammitgliedern ihre Stärken auszuspielen und das Projekt gemeinsam voranzutreiben, entgegen allen Widernissen (sogar die COVID-19 Krise). Nutzer-zentriertes Design verlangt die Beteiligung von Endnutzern, insbesondere Menschen mit Behinderungen, möglichst früh im Projekt und bis zur finalen Testung und Bereitstellung der IT-Anwendung.
Die erforderliche spezifische Expertise hinsichtlich Inhalten, Technologie und Zugang und Benutzerfreundlichkeit hängt stark von der Art der IT-Anwendung ab, die es zu entwickeln gilt. Manche IT-Lösungen sind relativ leicht zu implementieren (z.B. eine Standard Web-Anwendung oder WordPress-basierte Webseite), während andere sehr spezielle Fertigkeiten hinsichtlich Inhalten und Technologie verlangen.

Narration und Inhalte
Nicht jede IT-Anwendung hat eine erzählerische Dimension, so besteht beispielsweise der Zweck von Kinderleicht Wandern primär darin, Informationen zu bestehenden Wanderwegen für Familien mit kleinen Kindern bereitzustellen. Ist eine Anwendung jedoch narrativ angelegt, so verlangt dies entsprechende Arbeiten zum Storyboard und Interaktionsdesign sowie Kreation der multimedialen Inhalte. Als Inhalte können vorgesehen sein, Texte, Bilder, Sprach- und Tonaufzeichnungen, Bilder, Videos, Grafikanimationen, und sogar nachgestellte historische Szenen wie in INgame von Parco Rossi.
Für die mobile Anwendung Sentiero della Sensibilità von CAI Alpago wurden reichhaltige Inhalte für 14 Points of Interest (mit iBeacons) erstellt, und dem musikalischen Pfad mit Auszügen aus der Alpensymphonie von Richard Strauss kommt die Aufgabe zu, die Geschichten zur örtlichen Natur und kulturellen Landschaft auf dem Wanderweg emotional zu verknüpfen.
Je spezialisierter die Technologie, desto aufwendiger wird die Kreation und besonders die Integration der Inhalte für die zu erzählende Geschichte. Dies zeigte sich bei der Bletterbachschlucht Virtuelle Realität Anwendung und den Elementen für Erweiterte Realität in INgame von Parco Rossi. Ebenso bei der Feinabstimmung der physischen Teile (u.a. Tafel, Relief, Braille), Capacitive Berührungssensoren und aufgezeichneten Geschichten des Villa Rossi 3D Modells.
Für die angesprochenen technischen Lösungen Virtuelle Realität, Erweiterte Realität, 3D Druck und Berührungssensorik waren Arbeiten von spezialisierten Auftragnehmern erforderlich. Der hohe Standard solcher Anbieter hinsichtlich Professionalität, Technologie und Inhalte trägt zur erfolgreichen Realisierung eines Projekts wesentlich bei.

Flexible Anwendungen
Letztlich zählt, dass die IT-Anwendung, ob Virtuelle Realität, Erweiterte Realität, Chatbot, Multimedia-Führer oder WordPress-basierte Webseite für Alle zugänglich und nutzbar ist. Allerdings muss die Anwendung auch für den Betreiber passen, beispielsweise hinsichtlich der Kosten für die Erhaltung und Aktualisierung. Diesbezüglich ist hervorzuheben, dass es die Flexibilität einer Web-Anwendung wesentlich erleichtert, Informationen aktuell zu halten und neue Inhalte hinzufügen. So zum Beispiel neue Points of Interest (mit iBeacons) in die Web-Anwendung Sentiero della Sensibilità aufzunehmen oder, Dank dem Web-CMS WordPress, neue Wanderwege in Kinderleicht Wandern.
Wesentlicher für die Inklusivität einer IT-Anwendung ist jedoch die Auswahl hinsichtlich der Nutzungsweise. Sentiero della Sensibilità und INgame haben als Hauptformen Text und Bild oder Audio-Guide für Besucher mit Sehbehinderung. Videos in INgame haben eine Dramaturgie und eine Off-Stimme, die die Nutzung von INgame von diesem Nutzerkreis unterstützt. Für Nutzer mit einer Hörbehinderung wird bei den nachgestellten historischen Szenen in der italienischen Version Italienische Gebärdensprache eingesetzt und in der englischen Version gibt es Untertitel.

Mitwirkung der Nutzer
Wie bereits betont, sollten Endnutzer, insbesondere Menschen mit Behinderungen, möglichst früh im Projekt und bis zur finalen Testung und Bereitstellung der IT-Anwendung beteiligt werden. Jedoch sind ebenfalls der Beauftragende und Betreiber der IT-Anwendung entsprechend einzubinden, da sie ja auch die Ziele der jeweiligen Organisation für Natur- oder Kulturerbe oder Tourismus unterstützen soll.
Die Pilotstätten verwendeten verschiedene Methoden um sicherzustellen, dass die Produkte den Anforderungen der Endnutzer und Organisationen entsprechen. Dazu gehören, beispielsweise: Workshops der Entwickler mit Mitarbeitern von Besucherzentren, Museumskuratoren und Experten für digitale Zugänglichkeit. Treffen mit behinderten Personen um das Projekt vorzustellen und deren Anforderungen und Ratschläge zur Umsetzung einzuholen. Entwicklung entsprechend den Prinzipien von Design für Alle und nutzer-zentriertem Design, zum Beispiel Mitwirkung von Personen mit Behinderungen als Berater in der Designphase. Testung der IT-Anwendung hinsichtlich Funktionalität, den Richtlinien für barrierefreie Webinhalte (WCAG) und Benutzerfreundlichkeit. Präsentation der Beta-Version und Einholung von Feedback bei öffentlichen Veranstaltungen; Online-Feedback von Tourismusbüros und Hotels. Finale Testung im Feld, z.B. im Park oder auf dem Wanderweg, hinsichtlich technischen Aspekten (Internet-Verbindung, GPS-Lokalisierung, Interaktivität von iBeacons), und Interviews mit teilnehmenden Personen mit Behinderungen.
Die Pilotstätten erhielten zahlreiche hilfreiche Ratschläge zum Design und Verbesserungen der entwickelten IT-Anwendungen. Hinsichtlich der Mitwirkung der Endnutzer betont das Team von CAI Alpago, “Die Meinung von Endnutzern ist wichtiger in der Entwicklungsphase als in der Testphase. In der Tat, wenn die Beteiligung von Endnutzern nur bei der Testung der Anwendung erfolgt, ist es nicht mehr möglich die generellen Funktionsweisen zu ändern, nur die bestehenden zu modifizieren.“

Folgen der COVID-19 Krise
Die Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus hatten gravierende Auswirkungen auf die Entwicklung der IT-Anwendungen. Einige Arbeiten waren bereits 2019 abgeschlossen, aber ab März 2020 war die Entwicklung zeitweise unterbrochen, vor allem wo es persönlichen Kontakt und Arbeit vor Ort brauchte.
Kinderleicht Wandern, wo keine Arbeit im Feld notwendig war, ging im Juli 2020 online, aber die anderen Piloten konnten ihre IT-Anwendungen in der Sommersaison nicht bereitstellen. Mittlerweile sind alle getestet, finalisiert und bereit für die nächste Saison, und es gibt Pläne zum weiteren Vorgehen.
Die Folgen der COVID-19 Krise sind jedoch tiefergehend. Zum einen besteht ein stärkerer Wunsch nach Aufenthalten in natürlichen Umgebungen, Wandern und Besuch von Naturparken. Hier muss sichergestellt werden, das dies auch Menschen mit Behinderungen möglich ist. Organisationen mit einem Mandat und Expertise hierfür sollten nun ihren Einsatz steigern, und könnten vom erhöhten Interesse an Naturtourismus wohl auch profitieren.
Zum anderen müssen alle Betreiber von touristischen Einrichtungen damit zurechtkommen, dass es nun besondere Anforderungen hinsichtlich dem Gesundheitsschutz gibt und Besucher sehr sensibel sind, was Kontakt mit anderen Personen und Dingen betrifft. Abstand zu halten wird es notwendig machen, die Anzahl von Besuchern zu Stoßzeiten zu limitieren und deren Bewegung durch Empfangs- und Ausstellungsbereiche zu organisieren.
Zudem sind bestehende IT-Installationen für Besucher mit zu berührenden Steuerelementen, z.B. Keyboard, Touchscreen, Kopfhörer und andere, negativ betroffen. In der COVID-19 Krise wurden diese außer Betrieb genommen, und zukünftig werden viele Besucher sensibel bleiben und solche Installationen nicht nutzen. Daher wird in den nächsten Jahren berührungslose Steuerung mittels Sprach- und Gestenerkennung ein wichtiges Thema hinsichtlich IT-Installationen zur Vermittlung von Kultur- und Naturerbe sein.