1 - Das Potential von inklusivem Tourismus
1.1 – Was bedeutet inklusiver Tourismus?
Während die Begriffe „behindertengerecht“ oder „rollstuhltauglich“ aus der früheren Zeit noch immer vereinzelt Verwendung finden, wird heute neben dem spezifischen Begriff „barrierefrei“ der ganzheitliche Begriff „inklusiv“ als Ersatz verwendet. Inklusion definiert, dass alle Menschen – mit oder ohne Behinderungen – alle Einrichtungen im öffentlichen Raum ohne Einschränkungen, fremde Hilfe und erheblichen Kraftaufwand besuchen können, und somit am sozialen Leben teilhaben können.
1.2 – Was sind die Zielgruppen von inklusivem Tourismus?
Bei dem Begriff Inklusion denken wir oft an Menschen mit Behinderung, die barrierefreie Einrichtungen benötigen, um am sozialen Leben teilhaben zu können. Senioren stellen durch ihre altersbedingten Einschränkungen eine weitere Zielgruppe dar, sowie Kinder und Eltern mit Kinderwagen, Personen mit vorübergehenden Behinderungen und auch Lieferanten. Deshalb gilt, dass Barrierefreiheit für 10% der Bevölkerung unerlässlich, für 30% notwendig und für 100% komfortabel ist.
1.3 – Was versteht man unter einer barrierefreien touristischen Servicekette?
Barrierefreie touristische Serviceketten beziehen sich auf ein gut ausgebildetes inklusives Gesamtangebot in einer Region. Die touristische Servicekette besteht aus den drei Blöcken „Vor dem Urlaub“, „Vor Ort“ und „Nach dem Urlaub“. Verfügt die Servicekette durchgängig über inklusive Angebote, haben Gäste mit Behinderungen die Möglichkeit, Inklusion in allen Bereichen ihres Aufenthaltes zu erfahren.
1.4 – Welche Interessensgruppen existieren im inklusiven Tourismus?
Als Drehscheibe zur touristischen Entwicklung nehmen die „touristischen Serviceanbieter“ (Hotels, Tourismusverbände, u.a.) einen zentralen Platz ein. In der Ausbildung inklusiver Einrichtungen ist eine Zusammenarbeit derer mit „Organisationen für Menschen mit Behinderungen“ (e.g. ÖZIV, Independent L…) von zentraler Bedeutung.
1.5 – Wie soll die Zusammenarbeit gestaltet werden?
Eine Zusammenarbeit in der inklusiven Tourismusentwicklung kann auf vier Säulen gebaut werden:
- Koordination und Kontrolle: Die Interessensgruppen müssen sich des großen Potenzials von inklusivem Tourismus bewusst sein. So soll jede Interessensgruppe ihr Aufgabengebiet verfolgen, um die Umsetzung von inklusiven Projekten voranzutreiben. Hierfür gilt es, ausreichend Ressourcen (Personal, Kapital…) zu budgetieren.
- Kommunikation: Hierbei kann auf regionaler Ebene oft eine sehr gute Zusammenarbeit festgestellt werden. Um eine einheitliche inklusive Tourismusentwicklung jedoch zu gewährleisten, muss die Zusammenarbeit auch auf Landesebene funktionieren. Auch die Kommunikation muss generell barrierefrei erfolgen (Inclusive Web Accessibility), um allen einen erleichterten Zugang zu den bereitgestellten Informationen zu ermöglichen.
- Klarheit der Rollen: Jede Interessensgruppe soll eine Rolle in der Entwicklung von inklusivem Tourismus übernehmen. Obgleich dies einfach erscheinen mag, ist eine Abstimmung hierbei speziell innerhalb der Interessensgruppen von zentraler Bedeutung, um von den Erfahrungen anderer zu lernen und Doppelgleisigkeit (verschiedene Plattformen mit verschiedenen Darstellungsweisen und verschiedenen Bewertungskriterien zu den gleichen Ausflugszielen) zu vermeiden.
- Zusammenarbeit und Integration: Anhand der Zusammenarbeit aller beschriebenen Interessensgruppen werden Erfahrungen innerhalb der Beteiligten ausgetauscht und eine nachhaltige Weiterentwicklung des inklusiven Tourismus gewährleistet. Zudem können „Insellösungen“ zum inklusiven Tourismus hierdurch vermieden, und ein einheitliches Set an inklusiven Einrichtungen geschaffen werden.
1.6 – Ich will meine Region barrierefrei gestalten?
Im Zuge des GATE Projektes wurde ein Handbuch erstellt, das für interessierte Regionen als Wegweiser zur Verfügung stehen soll. Leserinnen und Leser werden an die Thematik herangeführt und wir schlagen Ihnen folgenden Ablauf vor:
- Lesen Sie zuerst das Handbuch
- Lesen Sie das Dokument „Leitlinien“
- Lesen Sie das Dokument „Multisensorische Zeichen“
- Sehen Sie sich die Schulungsvideos an video formativi
- Schulen Sie Ihre Mitarbeiter
- Kontaktieren Sie Experten wie den den „ÖZIV Bundesverband“, „independent L.“).
1.7 – Welches wirtschaftliche Potential hat der inklusive Tourismus?
Weltweit leben ca. 15% der Weltbevölkerung mit einer Behinderung oder sind Senioren. So sind etwa 20% der europäischen Bevölkerung im Alter von 65 Jahren oder älter und diese Bevölkerungsgruppe leidet zunehmend unter altersbedingten Behinderungen. Aufgrund des demografischen Wandels ist bis zum Jahr 2030 mit einer Steigerung um zirka 140% zu rechnen. Verschiedene Studien schätzen die inklusive Tourismusentwicklung auf ein Marktpotential von etwa 352 Milliarden Euro in Europa. Für weitere Einblicke hierzu kann folgende Literatur empfohlen werden:
Eurostat (2015): Disability statistics introduced
Eurostat (2016). Tourism trends and ageing (November 2016)
Eurostat (2019a). Seasonality in tourism demand (May 2019)
Eurostat (2019b). Population structure and ageing (July 2019)
Eurostat (2019c). Tourism statistics – participation in tourism (September 2019)
1.8 – Welche Wettbewerbsvorteile bietet der inklusive Tourismus?
Inklusiver Tourismus kann folgende Wettbewerbsvorteile bieten:
- Begleitpersonen: Gäste mit Behinderungen reisen in der Regel nicht alleine. Im Schnitt kann hierbei mit 2 Begleitpersonen gerechnet werden.
- Stammkundenpotential: Menschen mit Behinderungen entscheiden sich nach einem zufriedenstellenden Urlaub vermehrt dazu, in die besuchte Region zurückzukehren.
- Geringe Saisonalität: Durch den beträchtlichen Mehrwert für Senioren kann zudem eine vermehrte Reisebereitschaft im Frühjahr und Herbst erkannt werden.
- Mundpropaganda: Menschen mit Behinderungen stehen sich in regem Austausch zueinander. Aus diesem Grund werden zufriedenstellende Erfahrungen sehr schnell und mit beträchtlicher Reichweite in der Community verbreitet.
1.9 – Was kostet es, eine Region barrierefrei zu gestalten?
Die Kosten zur inklusiven Gestaltung einer Region hängen von den umgesetzten Maßnahmen ab. So wurden auch im Zuge des GATE Projektes verschiedenste Maßnahmen zur verbesserten Inklusion umgesetzt (Mehr Info).
Die Adaptionen zur Verbesserung der Barrierefreiheit können oft bereits mit geringen finanziellen Mitteln, wie der Installation von Rampen oder Treppenliften, durchgeführt werden, die für Neubauten ohnedies in den geltenden Bauvorschriften enthalten sind. Aus diesem Grund sollte in der Planung neuer touristischer Einrichtungen, wie Wanderwegen, Aussichtsplattformen, Parks, Museen, usw. die Barrierefreiheit mitbedacht und nach Möglichkeit umgesetzt werden.
2 - Menschen mit Behinderungen
2.1 – Welche Arten von Behinderungen werden unterschieden?
Menschen mit Behinderungen lassen sich allgemein in folgenden Einschränkungen unterscheiden:
- Menschen mit Geh- und Handbehinderungen
- Menschen mit Rollstuhl
- Menschen mit Hörbehinderungen
- Gehörlose Menschen
- Menschen mit Sehbehinderungen
- Blinde Menschen
- Menschen mit Lernschwierigkeiten
- Menschen mit besonderen Ernährungsbedürfnissen
2.2 – Was sind die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen?
Menschen mit Behinderungen unterscheiden sich sehr stark voneinander. Diese Unterschiede liegen in der Art und dem Ausmaß einer Behinderung. In unseren Webinaren haben wir die verschiedenen Bedürfnisse aus Sicht der Betroffenen übersichtlich dargestellt.
2.3 – Wie groß ist die Reisebereitschaft von Menschen mit Behinderungen?
An und für sich reisen Menschen mit Behinderungen sehr gerne. Um eine unbeschwerte Reise jedoch antreten zu können, sind die Menschen auf barrierefreie Einrichtungen angewiesen. Zudem benötigen Gäste mit Behinderungen eingehende, detaillierte Informationen zum Ausflugsziel der Wahl. Ein Mangel an Inklusion führt bei Menschen mit Behinderungen unweigerlich zu Enttäuschungen.
3 - Arten von inklusivem Tourismus
3.1 – Welche Grundlagen gibt es in der Entwicklung von inklusivem Tourismus?
Die barrierefreie Gestaltung einer Region beschreibt einen recht umfangreichen Prozess, der in der Bewusstseinsbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beginnt, und in einer durchdachten Servicekette endet. In Zusammenarbeit von „ÖZIV Bundesverband für Menschen mit Behinderungen“ und „Wirtschaftskammer Österreich“ wurde der „Barriere-Check“ erstellt, um die eigenen Einrichtungen auf Barrierefreiheit zu prüfen (www.barriere-check.at).
3.2 – Gibt es für inklusiven Tourismus finanzielle Unterstützungen?
Für Österreich können die jeweiligen „Fachbereiche für Behindertenhilfe“ der Landesregierungen eine Auskunft geben.
Italien steht Ihnen „independent L.“ gerne als Vermittler zur Seite. Für Interessenten aus Deutschland stellt „nullbarriere.de“ verschiedenste Fördermöglichkeiten vor.
3.3 – Ich möchte meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schulen lassen. Wo kann ich dies tun?
Im Rahmen des Projektes GATE wurden umfassende Webinare für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von touristischen Unternehmen erstellt. Diese Schulungsunterlagen werden hier zur Verfügung gestellt.
3.4 – Worauf müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Umgang mit Menschen mit Behinderungen achten?
Allgemein sollen Angestellte den Gästen mit Behinderungen mit erhöhter Aufmerksamkeit gegenübertreten, um Schwierigkeiten schnellstmöglich zu erkennen und ihnen nach Absprache behilflich zu sein. Menschen im Rollstuhl ist es allgemein unangenehm, wenn diese ohne Ankündigung geschoben werden.
3.5 – Wo erhalte ich Informationen zur Einrichtung von Wanderwegen?
Die Breite und Steigung von Wanderwegen werden in den jeweiligen Normen von Österreich, Italien und Deutschland geregelt (z.B. Önorm 1600 für Österreich, für Südtirol DLH vom 9. November 2009, Nr. 54: Verordnung über die Beseitigung und Überwindung von architektonischen Hindernissen). Die Normen sind nicht zwischen den Ländern abgestimmt und unterscheiden sich deshalb. Gerne stehen auch Organisationen für Menschen mit Behinderungen für Informationen zur Verfügung.
3.6 – Wie kann ich inklusive Einrichtungen bewerben?
Besonders im Bereich des inklusiven Tourismus bieten digitale Medien eine Vielzahl von Möglichkeiten an zur detaillierten Vermittlung von Informationen. Die Informationen sollten auch alle Aspekte der digitalen Zugänglichkeit für alle (Web Accessibility) erfüllen.
Im Rahmen des Projekts GATE wurden verschiedene Applikationen entwickelt, welche interessierten Körperschaften im Programmgebiet zu Verfügung stehen:
- IT-tool GATE – zur Darstellung von POI für Menschen mit Behinderungen auf der eigenen Homepage (WordPress)
- Template für barrierefreie Webapp zur Präsentation von Informationspunkten entlang von Themenwegen (QR-Codes)
- Template für Chatbot (Messengerdienst FB) zur Vermittlung von Besucherinformationen
- (…)
Alle Informationen zu den verfügbaren Applikationen finden Sie in der Projektseite gateproject.dolomitiunesco.info
3.7 – 1.7 Wie informieren sich Menschen mit Behinderungen?
Menschen mit Behinderungen pflegen einen intensiven internen Austausch. Aus diesem Grund spielt die Weitergabe der Erfahrungen vorhergegangener Besucherinnen und Besucher mit Behinderungen eine große Rolle in der Informationsbeschaffung dieser Zielgruppe. Sollten diese nicht über das gewünschte Informationsangebot verfügen, greifen Menschen mit Behinderungen auch sehr gerne zum Telefon, um sich genaue Einblicke zu verschaffen.
3.8 – 1.8 Wie bewerte ich die Barrierefreiheit inklusiver Anlagen?
Eine objektive Bewertungsmethode, bei welcher sowohl die Meinung von Menschen mit Behinderungen als auch ein Bewertungssystem miteinbezogen werden, können auf www.suedtirolfueralle.it und www.reisen-fuer-alle.de abgerufen werden.
3.9 – Wie symbolisiere ich Barrierefreiheit?
In der Symbolisierung von Barrierefreiheit wird auch heute noch häufig auf das allseits bekannte „Rollstuhlsymbol“ zurückgegriffen. Dies bietet jedoch keine Aussagekraft für Menschen mit Hör- oder Sehbehinderungen. Auch Menschen mit Lernschwierigkeiten können sich daraus kein Bild der vorherrschenden Barrierefreiheit machen. Aus diesem Grund bietet das Dokument „Multisensorische Zeichen“ eine Sammlung von Möglichkeiten zur Symbolisierung von Barrierefreiheit.
3.10 – Was gilt es in der Beschilderung von inklusiven Wanderwegen zu beachten?
Ableitend von den Bedürfnissen der Menschen mit Behinderungen kann festgestellt werden, dass Informationstafeln und Beschilderungen von Wanderwegen diese oftmals nicht erfüllen. Dementsprechend wurde im Rahmen des Projektes GATE ein Set an sogenannten „Multisensorischen Zeichen“ entwickelt, welches „Best-Practice“-Beispiele digitaler und analoger Beschilderungen für Menschen mit Behinderungen bieten.
3.11 – Ich habe noch weitere Fragen. An wen kann ich mich wenden?
Als größte Interessensvertretung in Österreich gilt es hier, den „ÖZIV Bundesverband – für Menschen mit Behinderungen“ zu erwähnen. Für Südtirol bildet independent L.”. einen kompetenten Ansprechpartner auf dem Gebiet. Für Deutschland bietet der „Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen“ einen umfassenden Überblick über Ansprechpartnern und Verbänden in den verschiedenen Bundesländern.
4 - Das GATE Projekt
4.1 – Was ist das GATE Projekt?
Das Projekt GATE (Granting Accessible Tourism for Everyone) ist eine grenzüberschreitende Kooperation von Partnern in Italien und Österreich zur Entwicklung von barrierefreien touristischen Angeboten für Alle im Alpen- und Voralpenraum. Durch die inklusive Tourismusentwicklung soll eine verbesserte Zugänglichkeit von Natur- und Kulturgebieten erreicht werden. Siehe auch: gateproject.dolomitiunesco.info
4.2 – Was wurde im GATE Projekt umgesetzt?
Im GATE Projekt wurden in vier verschiedenen Regionen Pilotprojekte durchgeführt. Diese Pilotregionen setzen im Rahmen des Projektes technische Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen um. Die Pilotregionen waren:
- Geopark Bletterbach, Aldein (BZ), Italien
- Parco Rossi, Santorso (VI), Italien
- Kinderleicht Wandern, Pongau in Salzburg, Österreich
- Weg der Sinne, Alpago-Gebiet, Belluno, Italien